Die Menschen in der Schweiz werden immer älter. Mittlerweile leben wir über längere Zeiträume hinweg mit bis zu fünf Generationen zusammen. Das Zusammenleben ist komplexer geworden. Dazu kommen grosse Herausforderungen wie die Klimakrise, die Rentenfrage oder die demografische Alterung der Gesellschaft. Was bewegt die heutigen Generationen? Gibt es einen Generationengraben? Welchen Einfluss hatte die Corona-Pandemie? Und wie können wir den Dialog unter den verschiedenen Generationen besser gestalten?
Unentbehrlich für unsere Gesellschaft
Mit dem Generationen-Barometer hat das Berner Generationenhaus in Zusammenarbeit mit Sotomo letztmals 2021 eine nationale Studie zu den Generationenbeziehungen in der Schweiz publiziert. Davon möchte ich untenstehend einige Erkenntnisse herausgreifen:
Ein grundlegender Graben zwischen den Generationen existiert in der Wahrnehmung der Schweizer Bevölkerung nicht.
Die Babyboomer-Generation ist die letzte Generation, welche die eigene Lebensqualität deutlich höher einschätzt als jene ihrer Eltern.
Viele Befragte mittleren Alters fühlen sich durch Familiengründung und Karriereaufbau unter starkem Druck.
Junge Menschen sind pessimistisch, was die Zukunft angeht. Für die Generationen Y und Z ist oft klar, dass eine hervorragende Ausbildung kein Garant für eine gute Karriere ist.
(Quellen Leadtext: 1,2,3; obiger Abschnitt: 4,5; vgl. Verzeichnis am Ende)
Generationengraben Corona-Pandemie?
Im Interview zum Generationen-Barometer 2021 hält die Generationenforscherin Pasqualina Perrig-Chiello fest: «Der Generationendiskurs ist zwar seit jeher von Fragen der Abgrenzung geprägt. Die Jungen wollen sich von der Elterngeneration lösen und ihre eigene Identität bestimmen. Neu ist, dass durch den gesellschaftlichen und technologischen Wandel das Wissensmonopol der Älteren gekippt wurde. […] Durch die Umverteilung von Wissen begegnen die Jüngeren den Älteren auf Augenhöhe. Sie denken: Ihr könnt es gar nicht besser als wir.» Aus der Forschung ist bekannt, dass der Diskurs über Generationenkonflikte gerade in Krisenzeiten immer wieder aufflammt. «Auf gesellschaftlicher und auch medialer Ebene wurde klar, wie negativ unsere Altersbilder sind.», führt Pasqualina Perrig-Chiello aus, «Der Tenor war, dass man sich wegen ein paar Hochbetagten nicht einschränken will, dass schliesslich niemand ewig leben könne. In der zweiten Welle kamen die Jungen dran, von denen es hiess, die würden ständig in den Ausgang gehen, egozentrisch und unvernünftig handeln. Die verschiedenen Generationen wissen schlicht zu wenig voneinander, darum sind sie in ihrer Beurteilung so pauschal.» In den Einordnungen des Generationenbarometers zeigt sich: Anstelle die Unterschiede der Generationen herauszuheben, sollten wir die sozialen Ungleichheiten thematisieren und Herausforderungen im konstruktiven Dialog und auf Augenhöhe miteinander anpacken.
(Quelle: 2)
Die «Generation des schlechten Gewissens»
Junge Menschen haben gelernt, in der Multioptionsgesellschaft zu leben und verschiedene Lebensweisen miteinander zu kombinieren. Sie verbinden traditionelle mit individuellen Elementen. Und gleichzeitig hat der Glaube an ihre eigene Wirkungsmacht zugenommen, weil sie besser ausgebildet sind und über mehr Ressourcen verfügen. «Es gibt dieses neue Bewusstsein: Jede Person, die sich vernetzt, hat die Möglichkeit, etwas zu verändern.», führt Generationenforscher François Höpflinger im Interview zum Generationen-Barometer 2021 aus. Junge Erwachsene stellen aber auch hohe Ansprüche an sich. Höpflinger umschreibt sie als «selbstkritisch und problembewusst, sozial kompetent und sensibel.»
Die Vielfalt an Optionen kann gerade für junge Erwachsene, die am Anfang ihres Berufslebens stehen und wenig soziale oder finanzielle Ressourcen aufweisen, eine Überforderung darstellen. In Zeiten der Unsicherheit, wie dies während der der Corona-Pandemie der Fall war, nimmt diese Orientierungslosigkeit noch zu. Das zeigt auch der Generationenbarometer 2021: 42 Prozent der 18- bis 24-Jährigen blicken eher pessimistisch ins Jahr 2051. Klaus Hurrelmann erklärt, «wie sensibel die junge Generation auf Veränderungen im ökonomischen Sektor und den damit verbundenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt reagiert. Vor der Pandemie blickten die unter 25-Jährigen im historischen Vergleich sehr optimistisch in die Zukunft, seit sich die Wirtschaft von den Auswirkungen der Finanzkrise im Jahr 2008 erholte.»
(Quellen obiger Abschnitt: 4,5,6; Textbox unten: 7)
Exkurs: Wie ist das eigentlich mit den Generationen? Die heutigen Generationen werden in sechs Altersgruppen eingeteilt (vgl. Grafik untenstehend):
Es bestehen keine scharfen Trennlinien zwischen den Generationen, vielmehr variieren die Jahrgänge zu Beginn und am Ende einer Generation zwischen fünf und zehn Jahren. Detaillierte Ausführungen zu den einzelnen Generationen sind auf der Plattform Intergeneration zu finden. |
Gemeinsam füreinander
Alle Generationen können dazu beitragen, dass der Generationendialog intensiviert wird und sich künftige Generationen-beziehungen integrierend entwickeln. Generationenforscherin Pasqualina Perrig-Chiello hält fest: «Vor allem fehlen [jüngeren und älteren Menschen] die Informationen darüber, wie es den anderen geht. Erst mit diesem Wissen kann man empathisch sein und die Perspektive der anderen einnehmen. Generationenübergreifende Projekte sind deshalb so wichtig, weil sie einen Austausch anregen.» Und sie führt weiter aus: «Die Anzahl Kinderloser und Alleinlebender nimmt stark zu. […] Viele Menschen vereinsamen, werden krank. Suizid und Einsamkeit gelten als Pandemien der Zukunft. Generationenübergreifende Projekte könnten dem entgegenwirken.»
Die Generationenplattform Intergeneration der SGG unterstützt Generationenprojekte und macht sie sichtbar: auf der Plattform werden mehr als 350 Generationenprojekte aus der ganzen Schweiz vorgestellt sowie Austausch und Vernetzung ermöglicht.
(Quellen: 1,2)
Der nächste Generationenbarometer 2022 erscheint im Januar 2023 zum Schwerpunkt-thema Empathie.
Quellen:
Intergeneration: «Generationenbeziehungen: Veränderte Bedingungen zwischen den Generationen», 2022, URL: https://intergeneration.ch/de/grundlagen/generationenbeziehungen-veraenderte-bedingungen/
Müller, Salome: «Jede Generation will, dass es ihren Kindern und Kindeskindern gut geht», Interview mit Pasqualina Perrig-Chiello, veröffentlicht am: 18.01.2022, URL: https://www.begh.ch/generationen-barometer/perrig-chiello
Hochstrasser, Andy: «Über soziale Gerechtigkeit wird mehr und schärfer diskutiert werden», Interview mit Simone Gretler Heusser, veröffentlicht am: 19.04.2021, URL: https://www.begh.ch/generationen-barometer/gretlerheusser
Generationen-Barometer 2021, Berner Generationenhaus: https://www.begh.ch/generationen-barometer
Müller, Salome: «Junge Menschen können gleichzeitig pessimistisch und hoffnungsvoll in die Zukunft blicken», Interview mit François Höpflinger, veröffentlicht am: 18.01.2022, URL: https://www.begh.ch/generationen-barometer/francois-hoepflinger
Fässler, Michael: «Jugendforschung ist Zukunftsforschung», Interview mit Klaus Hurrelmann, veröffentlicht am 10.03.2021, URL: https://www.begh.ch/journal/jugendforschung-ist-zukunftsforschung
Intergeneration: «Babyboomer, Generation X, Y, Z etc.: Die Generationen im Überblick», 2022, URL: https://intergeneration.ch/de/grundlagen/generation-x-y-z-ueberblick/
Weiterführende Links:
Intergeneration, Programm der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG)
Berner Generationenhaus, Institution der Burgergemeinde Bern und Ort der Begegnung und des gesellschaftlichen Dialogs
«und» das Generationentandem, kulturell, sozial und journalistisch tätiger Verein für Generationendialog, ansässig in Thun
Generationenforum Zürich, zurzeit im Aufbau, ansässig in Zürich
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